Bachelorarbeit
white spots – Auf der Suche nach Daten, die Diskriminierung aufzeigen können
Betreuung
Prof.in Franziska MorlokProf.in Myriel Milicevic
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Der faire Wohnungsmarkt
Die diskriminierungsfreie(re) Wohnungsvergabe
Der Wohnungsmarkt ist vor allem in den Ballungsräumen seit Jahren hart umkämpft. Hunderte Bewerbungen, steigende Mieten, weniger stark steigende Löhne – jeder Wohnraum wird gemietet, wenn man ihn sich leisten kann. Vermieter:innen sind hier entscheidende Faktorenen, wenn die Bewerbungsunterlagen den Kriterien entsprechen.
Doch werde ich überhaupt eingeladen? Laut einem Datenexperiment des BR DATA (Bayrischer Rundfunk) und SPIEGEL ONLINE unter dem Titel „Hanna und Ismail“ stehen die Chancen sehr unterschiedlich. Die Recherche und Auswertung von 20.000 deutschlandweiten Wohnungsbewerbungen ergab die Grundaussage: Trotz gleicher Lebensläufe, Qualifikationen und Herkunft gibt es gravierende Unterschiede, wie häufig eine Einladung verschickt wird. Der Name – ein gewaltiger Unterschied! Laut Datenexperiment erhalten Menschen z. B. mit einem arabischen Nachnamen bis zu 27 % weniger Wohnungsbesichtigungstermine als vergleichsweise mit einem deutschen Nachnamen.
„Trotz leichter Verbesserungen liegen Neuntklässler aus sozioökonomisch schwächeren Milieus mit ihrer Lesekompetenz immer noch mehr als zwei Schuljahre hinter ihren Klassenkameraden aus privilegierten Milieus zurück.“ – Berkemeyer, N., (Bertelsmann Stiftung)
Der Wohnort ist in den meisten Fällen ein Kompromiss zwischen dem Arbeitsplatz der Eltern, der Schule und den Möglichkeiten des Wohnungsmarktes. Ich sehe die gesellschaftlichen Bereiche „Wohnungs- und Arbeitsmarkt“ mit als die zwei wichtigsten Parameter für Integration und Inklusion an. Die Orte, an denen Bürger:innen leben und arbeiten sind Begegnungs- und Interaktionspunkte des täglichen Lebens.
Daher ist mein Lösungsansatz eine digitale* diskriminierungsfreie Wohnungsvergabe mit verpflichtender Anonymisierung und Losung von potenziellen Mieter:innen, welche die wirtschaftlichen Kriterien der Wohnung erfüllen. Hierbei werden für Vermieter:innen die direkte Auswahl von Mieter:innen und die mögliche Diskriminierung aufgrund äußerer Merkmale verhindert. Vermieter:innen haben durch finanzielle Nachweise der Mieter:innen keine wirtschaftlichen Nachteile zu befürchten, Hausordnungen müssen weiterhin eingehalten werden und sämtliche Verfahren sowie Kommunikationswege mit bestätigten Mieter:innen bleiben bestehen.
Ich habe das aktuell gängige und das von mir entwickelte Bewerbungsverfahren in je einer Prozessgrafik veranschaulicht. Die farbig hinterlegten Bereiche sind potenzielle Diskriminierungsmöglichkeiten, welche bei einer diskriminierungsfreien Bewerbung ausgeschlossen sind.
Diese Verfahrensweise ist auf digitale* Plattformen ausgelegt, könnte in jede Wohnungsanzeigenplattform integriert und als Option angeboten werden, sodass sich Vermieter:innen selbst von unterbewussten Entscheidungen befreien.
Nichtsdestotrotz sind die Diskriminierungserfahrungen von Menschen mit äußerlichen Merkmalen, die als nicht „typisch“ Deutsch angesehen werden, gravierend für sie selbst und unsere tolerante und inklusive Gesellschaft.
*Für Bewerber:innen ohne technische Kenntnisse müsste ein zusätzlicher analoger Service oder Unterstützung angeboten werden, um diese wiederum nicht zu diskriminieren.
„[…] wenn ich bei einer Wohnungsbesichtigung gegen eine Bafög-Empfängerin aus Schwaben den Kürzeren ziehe und mir die Maklerin danach am Telefon erklärt:
»Ich habe Ihren Namen gesehen und dachte, Sie seien arbeitslos.«
Prozess einer üblichen
Wohnungsvergabe
Das aktuelle Verfahren
Bei einer üblichen Wohnungsvergabe bekommt der:die Vermieter:in Einblicke in alle wirtschaftlich relevanten Aspekte des:der Mieter:in – Einkommen, Mietschuldenfreiheit, Schufa, Versicherungen, ggf. Bürgschaften. Eigentlich eine ausreichende Grundlage um eine Entscheidung zu fällen. Was der:die Vermieter:in ebenfalls weiß, sind beispielsweise Vor- und Nachname, Herkunft, Nationalität, Alter, Beruf, Arbeitgeber. Bereiche, die die Persönlichkeit oder auch Lebensumstände betreffen und Potenzial für Vorverurteilung, Stereotypen und Diskriminierung bieten.
Im Vergleich zu Menschen mit einem deutschen Nachnamen werden Menschen mit nicht „typisch“ deutschen Nachnamen deutlich seltener zu Wohnungsbesichtigungsterminen eingeladen; siehe untere Grafik (basierend auf 20.000 Bewerbungen).
Weitere Ablehnungsmomente können beim Besichtigungstermin und bei der Aktzeptierung des Mietvertrages entstehen, falls bis dahin äußerliche Merkmale wie Hautfarbe oder Vor- und Nachnamen noch nicht in Erscheinung getreten sind.
Der:Die Vermieter:in entscheidet bei einer Wohnungsvergabe nicht nur auf Grundlage von finanziellen Aspekten. Passende Mieter:innen für ein harmonisches Wohnverhältnis sind ebenso ein Teil der Entscheidung. Gegebenenfalls werden Wohnungen auch bevorzugt an Familien, Pensionierte, Student:innen oder Wohngemeinschaften vergeben, je nach Vorliebe der Vermieter:innen.
Genau diese Vorlieben könnten sich jedoch für Menschen als Verhängnis herausstellen, welche aufgrund äußerer Merkmale diskriminiert werden.
Im aktuellen System des freien Marktes und dessen Vergabesystem von Wohnungen, bekommen Menschen mit Diskriminierungsmerkmalen nachweislich bis zu 27 % weniger Wohnungsbesichtigungstermine als Menschen ohne diese Merkmale.
„Menschen mit ausländischem Namen werden auf dem Mietmarkt deutlich diskriminiert. Besonders hart trifft es Wohnungssuchende mit türkischer oder arabischer Herkunft. In jedem vierten Fall, in dem ein Deutscher eine Einladung zu einer Besichtigung erhält, werden sie übergangen.“
Prozess einer
diskriminierungsfreien
Wohnungsvergabe
Verfahren „FairMieten"
Bei meinem Konzept einer diskriminierungsfreien Wohnungsvergabe habe ich darauf Wert gelegt, dass der:die Vermieter:in keinerlei persönlichen Einfluss auf die Auswahl der einzuziehenden Mietpartei hat. Die Auswahl übernimmt ein Losverfahren, welches aus allen wirtschaftlich relevanten Kandidat:innen auswählt, dessen Bewerbungsunterlagen vollständig sind. Hierbei haben nun persönliche Meinungen und äußerliche Erscheinung keinen Einfluss mehr auf potentielle zu Diskriminierung führende Faktoren.
„[…] wenn ich bei einer Wohnungsbesichtigung gegen eine Bafög-Empfängerin aus Schwaben den Kürzeren ziehe und mir die Maklerin danach am Telefon erklärt: »Ich habe Ihren Namen gesehen und dachte, Sie seien arbeitslos.«“ - Mohamed Amjahid (Unter Weissen. Was es heißt, privilegiert zu sein. Hanser Berlin.)
Diese Erfahrung steht stellvertretend für mehrere tausend Erfahrungen bei der Wohnungssuche in ganz Deutschland, zumindest für die Menschen, welche einzelne oder mehrere Diskriminierungsmerkmale aufweisen.
Vorteile für Mieter:innen
Gleiche Chancen für alle Bewerber:innen unabhängig äußerer Merkmale, ihrem persönlichem Charme oder anderen Möglichkeiten der Vorteilnahme, solange die Miete gezahlt werden kann, durch Einkommen oder Sozialhilfe.
Vorteile für Vermieter:innen
Eine hohe Diversität an Menschen kann dazu führen, dass internationale Firmen sich bewusst mit ihren Mitarbeiter:innen an diesem Standort niederlassen und eine „internationalisierte“ Infrastruktur vorfinden. Neben kulturellen und kulinarischen Angeboten könnten Behörden, Bildungswesen und Arbeitgeber auf ein vielfältiges internationales Knowhow zurückgreifen. Eine florierende Gemeinschaft schafft also eine hohe Nachfrage, somit auch steigende Mieten. Beispiele sind hier viele Großstädte in Deutschland und der Welt; Berlin, London, New York, Sydney, u. v. a. m.
Nachteile für Mieter:innen
Persönlicher Charme und andere positive Eigenschaften haben bei der Wohnungsbewerbung keinen Vorteil mehr. Vermieter:innen könnten Wohnungen nicht mehr an diejenigen vergeben, welche die Wohnung beispielsweise am dringensten bräuchten.
Nachteile für Vermieter:innen
Die Gestaltung einer möglichst harmonischen Wohngemeinschaft innerhalb eines Hauses, auf Grundlage von Menschenkenntnissen durch den:die Vermieter:in, wäre so nicht mehr möglich. Persönliche Einschätzungen könnten von Vermieter:innen nicht mehr berücksichtigt werden. Daraus kann Ungewissheit und Unwohlbefinden im Zusammenhang mit Kontrollverlust für Vermieter:innen entstehen.
Kritische Faktoren des diskriminierungsfrei(eren) Systems
Menschenkenntnisse von Vermieter:innen und Lebensumstände der potenziellen Mieter:innen werden nicht berücksichtigt. Bei der Bewerbung auf die selbe Wohnung hat eine Familie mit drei Kindern die gleichen Chancen wie ein Single. Ein sozialer Ausgleich, welcher die Bedürfnisse verschiedener Gruppen beurteilt und kategorisiert, wäre ein Erweiterung und Veränderung dieses Konzeptes. Bei der Besichtigung auftretende negative Ereignisse oder Fehlverhalten, wie sichtbare Symbole welche eine extreme politische Botschaft repräsentieren, rassistische oder diskriminierende Äußerungen, offenkundige Motive mit negativem Einfluss oder unlautere Absichten für die Verwendung der Wohnung, können im Vergabeprozess nicht berücksichtigt werden. Das Eingreifen der Vermieter:innen bei ungeeigneten Mieter:innen wird bisher nicht bedacht. Diese Sichtweise zeigt noch einmal, dass hierbei jegliche Diskriminierung verhindert werden würde – sogar Menschen die Diskriminierung verursachen und unterstützen würden nicht aus dem Prozess ausgeschlossen werden. In diesem Szenario stelle ich die Frage, ob eine „Ausschluss“-Klausel sinnvoll wäre. Wie müsste diese gestaltet werden ohne zu diskriminieren? Und wie müsste diese gestaltet werden ohne wieder zu diskriminieren?
Jeder Mensch muss wohnen können. Die Inklusion von Menschen mit Diskriminierungsmerkmalen und Menschen mit verschiedensten politischen Einstellungen sollte das oberste Gebot sein.
Quellen und Links
Während meiner Bachelorarbeit habe ich viel Zeit mit Recherche verbracht und verschiedene Quellen zu folgenden Themen mich in meiner Arbeit besonders bestärkt, inspiriert und beeinflusst.
Diskriminierung
Diskriminierungserfahrungen
Daten über Diskriminierung
Wohnungsvergabe
Datenexperiment:
Hannah und Ismail
Wer nicht gezählt wird, zählt nicht
Discrimination against Female Migrants Wearing Headscarves
Wie lässt sich feststellen, ob Benachteiligungen tatsächlich aufgrund rechtlich definierter Merkmale und nicht aufgrund individueller Fähigkeiten oder Charaktereigenschaften stattfinden? Um konkrete Strukturen und Verhaltensweisen
als diskriminierend zu identifizieren, gab es das Vergleichsexperiment von Doris Weichselbaumer, die als Sandra alias Mereyem, 1500 Bewerbungen mit und ohne spezifische Merkmale schrieb.